Offene vs. geschlossene Netze

English translation: 🇬🇧 Open vs. closed networks

Einführung

Geschlossene, kommerziell betriebene Netze besitzen die intrinsische Tendenz, bestimmte Nachteile auszuprägen:

  • Sie bauen Persönlichkeitsprofile über Ihre Anwender, die für gezielte Werbung verwendet und für psychologische Massenmanipulation mißbraucht werden kann.
  • Sie nutzen geschlossene Datenformate und Schnittstellen und unterbinden die Entwicklung von alternativen Clients, um es den Nutzern schwer bis unmöglich zu machen, ihre Kontakte und Daten verlustfrei von einem Anbieter zum nächsten mitzunehmen.
  • Sie tendieren dazu, die Filterung, Priorisierung und Zuspielung von Inhalten statistischen Modellen, letztlich künstlicher Intelligenz, zu überlassen. Der Mensch verliert schleichend die Kontrolle darüber, womit seine Aufmerksamkeit belegt wird.
  • Sie bieten absichtlich keine Funktionen zur manuellen Sortierung, Filterung oder zur Katalogisierung von Inhalten – alles wird dem Algorithmus unterworfen. Die Nutzer werden dahingehend konditioniert, nur noch der einen, zentralen Timeline zu folgen. Der Mangel an Wahlfreiheit erhöht die Akzeptanz von Werbe-Einblendungen, die vom Nutzer zunehmend als untrennbar vom Ganzen akzeptiert werden.
  • Ihre Benutzeroberflächen verwenden psychologische Tricks, um die Verweildauer der Nutzer zu maximieren. Dazu gehören die endlose, und immer neu durchmischte Präsentation von Inhalten, die Unterwanderung von Kernfunktionen (z.Bsp. kann man auf Instagram nicht die Suchfunktion öffnen, ohne sofort eine Mischung an persönlich zugeschnittenen, aufreizbaren Inhalten präsentiert zu kommen, bevor auch nur bereits ein einziger Buchstabe ins Suchfeld eingetippt wurde). Ferner umfasst dies auch das gezielte Weglassen von Elementarfunktionen (z.Bsp. kann man bei Kurzvideodiensten Videos nicht Anhalten oder Zurückspulen; man muss sie noch einmal von vorne schauen oder wird schon zum nächsten Video weitergeleitet) und die kalkulierten Zeitabstände, in denen Nutzer mit Nonsens-Notifications („jemand hat dein Profil angeschaut“) daran erinnert werden, doch mal wieder in die App reinzuschauen und – diese Tricks sind auch bekannt als „Dark Patterns“.

Als aufgeklärter Mensch möchte man meinen, von den negativen Auswirkungen dieser Strukturen nicht betroffen zu sein. Aber das Kleinhirn muss hier wiedersprechen, frei nach Mr. Plinkett: you might not have even noticed, but your brain did.

Allein die algorithmisch kuratierte Filterung von Inhalten sorgt zwangsläufig für eine Verengung des eigenen Meinungs- und Interessenskorridors – auch wenn man sich darin recht progressiv und aufgeklärt fühlt. Die psychologischen Tricks und die gezielte Ausschüttung und Vorenthaltung von Aufmerksamkeitsbelohnungen sorgen über ihr Suchtpotenzial dazu, dass man tendenziell mehr Zeit mit den Geräten verbringt, welche man dann wiederum nicht mehr verwendet für Dinge wie:

  • Bücher zu lesen
  • Texte zu schreiben
  • Zu musizieren
  • Freundschaften zu pflegen
  • Zum Gemeinwohl beizutragen
  • Die eigene Gesundheit zu fördern

Alternativen existieren

Aus diesen Gründen muss die Devise sein, sich von den Zwängen und der Sogwirkung der geschlossenen Netze zu emanzipieren. Alternative Lösungen existieren und sind den kommerziellen Anbietern oftmals ebenbürdig oder gar überlegen. Die Hürde besteht lediglich darin, sich diesen Alternativen psychologisch zu öffnen und eine Weile noch zweigleisig zu fahren. Überzeugt die Alternative technisch, inhaltlich und sozial, vollzieht sich der Wechsel von ganz allein.

Reflexartige Vorbehalte sind in der Regel:

  • „Meine Freunde sind nicht dort“ – aber woher will man das eigentlich wissen, wenn man es nicht ausprobiert hat? Oftmals ist man erstaunt, wieviele Freunde bei der Offenen Alternative bereits einen Account haben, ohne es in die Welt hinauszuposaunen. Und der Rest kann ja noch nachziehen. Revolutionen benötigen Keimzellen, die sich untereinander vernetzen…
  • „Ich will nicht zu viele Apps“ – im Gegensatz zu den werbeverseuchten und hyperaktiven  Apps der kommerziellen Anbieter (hier eine Notification, da eine Banner-Einblendung) sind Open Source-Alternativen schlank, sparsam und beschränken sich auf das Wesentliche. Dass man die meisten Apps nervig findet (weil die meisten Apps kommerzielle Interessen verfolgen), spricht eher für einen Wechsel, als gegen einen solchen…

Übersichtstabelle

Es folgt eine grobe Übersicht. Die Abwägungen (für und wider der Alternative) und einige Anbieter in der Grauzone (Telegram, Reddit) werden im weiteren Text erläutert.

RubrikGeschlossene NetzeOffene AlternativeEinstiegshürde
Instant Messenger & GruppenchatsWhatsApp, Telegram, Facebook Messenger, iMessage, Instagram Direct usw.SignalSehr niedrig
Soziales NetzwerkFacebook, Twitter, Instagram usw.MastodonNiedrig
ForenRedditAuch Reddit; ansonsten Lemmy bzw. Feddit; für Unternehmen: DiscourseNiedrig bis Mittel
Kurz-VideosTikTok, Instagram Reels, Youtube Shorts usw.– keine –
ChatroomsDiscordMatrix, Revolt, Rocket.Chat, SpacebarMittel
Cloud für Daten, Kalender usw.iCloud, Google Drive, OneDrive usw.ownCloudHoch

Signal

Ganz klar der heißeste Kandidat für einen schnellen Wechsel.

1. Einführung

Signal ist Open-Source und seit spätestens 2013 (Snowden Leaks) der de-fakto Standard für sichere Kommunikation unter Journalisten, Aktivisten und im Alltag. Das Prinzip “Open-Source” bedeutet: ein jeder kann den Programmierquellcode lesen, verstehen, kompilieren und nachvollziehen, was unter der Haube passiert. Dies ermöglicht unabhängige Audits und einwandfreie Transparenz, ohne versteckte Hintertüren. Quellcode-lesen mag nicht jedermanns Sache sein, aber zum Glück gibt es unzählige Vereine, Sicherheitsforscher, Universitäten und andere unabhängige Stellen, die diese Arbeit schon erledigt haben. Nur mit öffentlichen Projekten auf Open Source-Basis entsteht ein unabhängiges “network of trust”, wo individuelle Akteure ihre Arbeit aufeinander aufbauen und sich gegenseitig validieren können.

Weitere Erläuterungen zur Sinnhaftigkeit von Open Source stehen weiter unten unter der Überschrift: “Was ist denn überhaupt dieses Open Source?

Das auf modernen, kryptografischen Industriestandards basierende Verschlüsselungs-Protokoll von Signal wurde übrigens später auch von kommerziellen Anbietern wie WhatsApp übernommen – Open Source macht’s möglich.

2. Vorteile

Der Signal-Client funktioniert auf allen Plattformen einwandfrei, inkl. Desktop. Signal beherrscht private Kommunikation, Gruppenchats unter Freunden, Telefonie, Sprachnachrichten und hat, abseits der o.g. Verschlüsselungs- und Privacy-Features, folgende Highlights:

  • Schlanke App, gute Performance, hohe Zuverlässigkeit.
  • Freunde werden automatisch über die Kontaktliste im Handy anhand ihrer Telefonnummern entdeckt, ohne dass die Kontaktliste dazu mit einem zentralen Server geteilt werden muss. Somit sieht die App lokal sofort, wen man bereits bei Signal kennt (außer ggf. einzelne Kontakte, welche diese Entdeckbarkeit absichtlich deaktiviert haben).
  • Es sind wirklich schon sehr viele Leute bei Signal; allein in meinem erweiterten Freundeskreis in Leipzig um die 50 Leute inkl. näherer Verwandschaft.
  • Kompressionsgrad beim Teilen von Bildern lässt sich pro Datei oder direkt als Standard einstellen: entweder kleine Standard-Dateigröße oder große Original-Qualität.
  • Verzeichnis von geteilten Bildern, Dateien und Audio-Dateien pro Kontakt.
  • Auswahl und Weiterleitung multipler Nachrichten.
  • Teilen der eigenen Telefonnummer optional.
  • Read-Receipts und Typing indicators optional.
  • Automatische Selbstlöschung von Nachrichten nach bestimmter Zeit optional.
  • GIPHY-Integration.

Telegram

Viele Leute sind bereits bei Telegram und glauben damit, bereits alternativ oder sogar „sicher“ zu sein. Und fürwahr, Telegram war eine relativ frühe Alternative zu WhatsApp, iMessage und SMS. Gegenüber Signal hat Telegram aber handfeste Nachteile:

  • Telegram ist nicht Open Source.
  • Verschlüsselung von Zweier-Gesprächen ist auf Telegram nur optional – somit ist Alltagskommunikation nicht abhörsicher.
  • Verschlüsselung von Gruppenchats ist nicht möglich.

Aus diesen Gründen ist es meine erklärte Meinung, dass Telegram-Nutzer ihre Privatkommunikation zu Signal verlagern sollten.

1. Warum ist Telegram noch so beliebt, wenn Signal doch schon so lange existiert?

Dies hat hat m.E. zweierlei Gründe:

Zum einen, weil Telegram schon relativ früh am Start war. Zum anderen hat sich Telegram abseits von Privatkommunikation eine Nische erschlossen, die man „Direct Broadcasting“ nennen könnte. Anstatt Gruppenchats hauptsächlich für Freundes- und Arbeitskreise einzurichten, haben Gruppen in Telegram eine schier unbegrenzte Anzahl an möglichen Teilnehmern und enthalten optionale Moderationsmechanismen, die einen Großteil der Mitglieder zu reinen Empfängern degradieren können.

In dieser „Top Down“-Broadcasting-Kapazität bietet Telegram eine alternative zu klassischen Mailing-Listen (Rundmails) in einem dynamischen Interace. Teilnehmer können dann zwar nicht selbst Beiträge in eine Gruppe schreiben, aber können empfangene Nachrichten mit Likes und anderen Emojis dekorieren und neuerdings auch Kommentare auf einer zweiten Ebene unter den Beiträgen des Gruppenbetreibers schreiben. Telegram enthält nützliche Funktionen, um die Nutzerkreise solcher Mega-Gruppen möglichst schnell ansteigen zu lassen:

  • Nachrichten aus Gruppen können mit nur wenigen Klicks an beliebig viele Kontakte weitergeleitet oder als Story geteilt werden. So wird die Grenze zwischen Nachrichten-Medium und Privat-Messenger vermischt.
  • Einladungen zu Gruppen sind über öffentliche Kurz-URLs möglich, so dass sich für die eigene Gruppe sehr einfach auf Websites und anderen Plattformanbietern werben lässt. Für Nutzer, die bereits einen Telegram-Account haben, genügt dann ein einziger Klick, um von einem Web-Auftritt in eine entsprechende Gruppe zu gelangen.

Diese Funktionen sorgen dafür, dass manche große Gruppen- oder Kanal-Anbieter mit ihren Botschaften extrem viele Leute erreichen, dabei aber durch die Verschachtelung in einer nach außen nicht offenen „Chat-Gruppe“ trotzdem der Auffindbarkeit über das normale Internet und Suchmaschinen entgehen. Die Nutzer haben dadurch das Gefühl, in quasi-exklusiven Geheimclubs zu weilen, in welche man nur durch Einladung oder persönliche Kontakte reinkommt und in denen sie exklusive Informationen erhalten, die den Außenstehenden nicht zugänglich seien.

Dies macht diese Funktion extrem interessant für Verschwörungstheoretiker, Desinformations-Verbreiter, aber auch für Scam-Artists in der Cyptowährungs-Szene („komm in die Gruppe, sei von Anfang an dabei, kauf jetzt meine Währung bevor wir an die Öffentlichkeit gehen und der Kurs durch die Decke geht“) und ähnliche Schnellballsysteme. Generell würde ich behaupten, dass diese Gruppen aufgrund ihrer Verbreitungsweise die Entstehung von „Echokammern“ fördern – auch weil Absender von kritischen Reaktionen (Emojis, Kommentare) von den Gruppenbetreibern leicht entfernt werden können, ohne jegliche Transparenz oder Rechenschaftspflicht. Die in solchen Gruppen geförderten Ideen können sich zwar in den öffentlichen Diskurs verbreiten (meist ohne Quellenangabe), aber über die eigentlichen Gruppen wird außerhalb von Telegram kaum gesprochen – so als ob sie leicht anrüchige Geheimwelt wären. Sie sind vermutlich für Außenstehende auch schwer zu quantifizieren was ihre Verbreitung und Relevanz angeht.

2. Wer nutzt aktuell noch Telegram?

Die Existenz der oben erklärten “top down”-Gruppen und die Vermischung von privatem Chat und halböffentlichem Nachrichtendienst führt m.E. dazu, dass Telegram heutzutage hauptsächlich zwei Demografien beherbergt:

  • Nur mäßig technikaffine Early Adopter, welche sich in den frühen Jahren des mobiles Internets beim „Underdog“-Anbieter irgendwie wohler fühlten, aber das nie technisch begründen könnten. Diese Teilnehmer sind durch technische Aufklärung offen für einen Wechsel zu Signal.
  • Das spätere Massenpublikum, welche primär auf Empfehlung von Bekannten, über Nachbarschaftsgruppen oder über virale Influencer zu Telegram geraten sind und generell eher ein niedriges technisches Verständnis haben.

Für die zweite Zielgruppe ist Telegram vermutlich mehr als nur ein Chatprotokoll, und ihr regelmäßiger Konsum von Verschwörungs-Botschaften aus Echokammern könnte sie gegen die Akzeptanz der von weniger bekannten Open-Source-Alternativen gebotenen Kombination aus Dissenz und Vielfalt konditioniert oder abgestumpft haben. Für sie mag das “Zugehörigkeitsgefühl” zu ihren semi-exklusiven Kanälen womöglich wichtiger sein, als welche App nun wirklich die sicherste und nachhaltigste Kommunikation bietet.

WhatsApp

1. Was bisher geschah

Der Funktionsumfang von WhatsApp war eigentlich immer recht solide – auch automatische Verschlüsselung von privaten Chats wurde lange nach Signal einmal eingeführt. Aus einiger Entfernung betrachtet hat WhatsApp stets den Eindruck vermittelt, recht unabhängig von seinem Mutterkonzern Facebook/Meta zu sein. Gewiss dürfte die persönliche Kommunikation auch ordnungsgemäß verschlüsselt sein (d.h., WhatsApp sollte nicht in der Lage sein, zu lesen, was Sie schreiben). Jedoch werden die dabei anfallenden Metadaten (wer schreibt, wann, mit wem und wie oft) seit vielen Jahre mit dem Mutterkonzern geteilt, wo sie zur weiteren Verfeinerung der psychologischen Profile verwendet werden (wer kennt wen und wie gut), welche bereits ohnehin im Zusammenhang mit den Konten bei Facebook und Instagram erstellt wurden. Facebook weiß auch, welches Facebook- bzw. Instagram-Konto zu welchem WhatsApp-Account gehört, da die Handynummern bei Facebook und Instagram in der Regel für Account-Reaktivierungszwecke hinterlegt werden – Facebook und Instagram werben auch regelmäßig dafür, zu prüfen, ob die Handynummer noch aktuell ist.

2. WhatsApp auf dem Weg ins Abseits

Nun, wenigstens war WhatsApp immer werbefrei – zumindest bis vor Kurzem.

Ab etwa 2024 hat WhatsApp die erste Stufe der Enshittification erreicht (Definition siehe unten). Wo früher die „Stories“ waren, sind jetzt „Updates“, und diese listen prominent eine Reihe an „Channels“ auf, denen man doch folgen könnte. Dass diese Channels (Fußballclubs, Influencer, Zeitungen, Einzelhandel) durch Sponsorings kuratiert werden, ist offensichtlich.

WhatsApp möchte somit in die Fußstapfen von Telegram treten, ohne aber dabei von dem „Underdog“-Status und der durch Nutzerempfehlungen und Weiterleitungen organisierten Eigendynamik von Telegram zu profitieren. Somit werden WhatsApp-Kanäle zunächst reine Werbeplattformen. Nutzer können diese Funktion allerdings nirgendwo in der App abschalten. Wann immer WhatsApp-Nutzer nun also die „Stories“ ihrer Kontakte sehen wollen, bekommen sie eine Aufforderung zur Clubmitgliedschaft beim 1. FC Köln untergeschoben…

Warum ist Verschlüsselung eigentlich wichtig?

Transportverschlüsselung von Privatnachrichten ist letztlich die Garantie für das Briefgeheimnis. Erinnert sich noch jemand an das Briefgeheimnis?

1. Privacy verhindert Überwachung

Ein Anbieter wie Telegram, bei denen Nachrichten standardmäßig nicht verschlüsselt sind, hat die Möglichkeit, die Kommunikation der Teilnehmer abzuhören. Dies geschieht spätestens dann, wenn der Anbieter von Strafverfolgungsbehörden oder Geheimdiensten dazu gezwungen wird.

Ein Anbieter wie Telegram, bei dem Nachrichten standardmäßig nicht verschlüsselt sind, hat die Möglichkeit, die Kommunikation seiner Teilnehmer abzufangen und zu lesen. Wenn es möglich ist, wird es auch gemacht – nicht zuletzt durch bösartige Akteure, staatliche Strafverfolgungsbehörden oder Geheimdienste. Dies öffnet Tür und Tor für Massenüberwachung, bei der alle Kommunikation nach bestimmten Schlüsselwörtern, Phrasen oder Beziehungen gefiltert wird. Das Endergebnis ist bereits in Ländern unter bestimmten Einparteienregimen zu sehen, wo Nachrichten, die dissidente Schlüssel- oder Codewörter enthalten, nicht mehr privat unter Freunden geteilt werden können – sie kommen am anderen Ende einfach nicht an. Und wenn man dort die falschen Themen mit zu vielen Leuten versucht zu besprechen, erhält man möglicherweise persönlichen Besuch von den lokalen Partei- oder Sicherheitskräften.

Ein Dienst wie Signal, welcher sich konsequenter Verschlüsselung und Datensparsamkeit verschrieben hat, hat hingegen keinerlei technische Möglichkeit, den Datenverkehr zentral mitzuschneiden. Datensparsamkeit bedeutet: die Vermeidung der Erzeugung oder Sammlung von Daten, die nicht relevant für die Kernfunktionalität des Programms sind. Einfacher ausgedrückt: Man kann keine Daten verlieren oder herausgeben, die man von vornherein nie erzeugt hat.

2. Für wen ist das relevant?

Es mag manche Teilnehmer nicht interessieren, ob ihre Kommunikation abgehört werden kann. Aber das Bewusstsein, dass man abgehört werden kann, hat einen subtilen Effekt auf die eigene Wortwahl und auf das, was man womöglich seinen Freunden mitteilt. Und selbst wenn es einen selbst nicht interessieren mag – die Tatsache, dass das Gegenüber (erst recht in Gruppenchats, wo es viele Gegenüber gibt), davon betroffen sein könnte, sollte einen dazu bewegen, sichere Kommunikation zu bevorzugen.

3. Gibt es überhaupt absolute Sicherheit?

Ein häufiges Gegenargument lautet „es ist sowie nichts sicher, alles kann gehackt werden“ – dies ist aber nur eingeschränkt richtig. Fakt ist: korrekt durchgeführte Verschlüsselung mit starken, kyptographischen Keys, kann nicht durch einfache Tricks oder gewaltige Rechenleistung geknackt werden. Kryptografie ist einer der ältesten Disziplinen der Computerwissenschaft – dieses letztendlich mathematische Problem ist seit geraumer Zeit schlichtweg ausgeforscht. Selbst gegen Angriffe durch theoretisch mögliche, zukünftige Quanten-Computer gibt es Mittel.

Die aktuell einzige praktibable Möglichkeit, zwei Signal-Teilnehmer abzuhören, ist, das Endgerät von einem der beiden Teilnehmer zu kapern. Eine Verschlüsselung ist also immer nur so sicher, wie die Sicherheit des teilnehmenden Endgerätes. Diese Methode lässt sich aber selbst von staatlichen Organen nicht massenhaft einsetzen, da die Software-Landschaft zu vielfälig ist und man für einen verborgenen Lauschangriff seltene und ungepatchte Sicherheitslücken in Endgeräten ausnutzen muss (idealerweise eine solche, die das Subjekt in Unahnung belässt), welche einige Zeit nach Nutzung auffliegen und behoben werden. Alternativ sind Social Engineering-Ansätze nötig, wo einer Zielperson eine Schadsoftware händisch untergejubelt wird (über Phishing Mails oder den berühmten USB-Stick auf dem Parkplatz). Ein solch extremer Aufwand wird in der Regel nur gezielt bei sog. „High Value“-Targets aufgewendet, also z.Bsp. in der Anti-Terror-Bekämpfung oder bei der denkbar extremsten Form der Unterdrückung politischer Opposition durch gleichgeschaltete Sicherheitsorgane in autoritären Staaten.

Anders ausgedrückt: Selbst wenn eine geschlossene Tür aufgebrochen werden könnte, ist es immer noch besser, als gar keine Tür zu haben – insbesondere, wenn es um den eigenen, persönlichen Raum und um die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Massenüberwachung geht.

Mastodon

Facebook, Instagram und TikTok gelten als die absoluten Worst Case-Beispiele psychologischer Tricks, Bad Incentives und des Ausverkaufes ihrer Nutzerdaten. Zahlreiche Studien belegen den negativen Einfluss dieser Netzwerke auf den politisch-sozialen Diskurs und die geistige Gesundheit ihrer Anwenderschaft. Umso leichter fällt es hier, eine quelloffene, dezentrale und unabhängige Alternative zu empfehlen: Mastodon.

Mastodon basiert auf einem quelloffenen Protokoll namens „ActivityPub“, auf welchem sich prinzipiell auch andere Netzwerke abbilden lassen, wie z.Bsp. die Instagram-Alternative „Pixelfed“. Wie bei Open Source üblich, kann kein einzelner Teilnehmer die Hoheit über das ganze Netz erlangen. Alle diese Netzwerke lassen sich prinzipiell verknüpfen – man spricht hier vom „Fediverse“, also einem föderierten Universum (so wie Deutschland ein föderierte Republik ist).

Die Nutzerbasis von Mastodon hat ihren Schwerpunkt derzeit bei Wissenschaftlern, Software-Entwicklern, Sicherheits-Experten, Aktivisten, Linux-Nutzern und Entertainern. Daraus kann aber ein Netzwerk für Alle werden. Auch einige Firmen, vor allem in der IT-Szene, sind bereits auf Mastodon präsent. Auch Behörden und öffentlich-rechtliche Einrichtungen in Europa liebäugeln mit der Plattform, da die Abhängigkeit des deutschen bzw. europäischen Informationsangebot von US-dominierten Monopol-Konzernen sich in heutigen Zeiten immer schlechter rechtfertigen oder ignorieren lässt.

In meiner Übersichtstabelle habe ich die Einstiegshürde von Mastodon mit „Niedrig“ angegeben, während Signal auf „Sehr niedrig“ steht. Diese Einstufung hängt in erster Linie daran, dass man bei Mastodon nicht automatisch alle seine Kontakte finden wird und dass die Nutzerbasis im privaten Umfeld noch deutlich kleiner ist als bei Signal. Dennoch ist der Einstieg einfach, wenn man ein paar grundlegende Schritte versteht:

1. Server aussuchen (sog. „Instanzen“)

Alle Server sprechen miteinander, daher ist es fast egal, welchen man auswählt. Ich würde empfehlen, sich einfach beim größten Server zu registrieren, und zwar bei „mastodon.social“. Sollte sich diese Empfehlung irgendwann einmal ändern, kann man problemlos mitsamt seiner Follower mit wenigen Klicks umziehen.

2. Profil anlegen, Menschen folgen, Hashtags folgen

Profil anlegen ist logisch. Menschen findet man über die Suchfunktion – die meisten Menschen sind mit ihrem Klarnamen unterwegs. Die bei anderen Netzwerken übliche Funktion, das eigene E-Mail-Adressbuch nach Nutzern zu durchsuchen, existiert bei Mastodon nicht. Nutzer im Freundeskreis findet man am besten, indem man allen Freunden mitteilt, dass man jetzt bei Mastodon ist.

Unterschätzt wird das Folgen von Hashtags. Über Hashtags zu Themen, die einen selbst interessieren (wie z.Bsp. #Architektur), findet man über die Zeit viele Postings und Menschen, die man interessant finden könnte. In Abwesenheit eines KI-gesteuerten Verteilmechanismus ist die Verwendung von Hashtags bei Mastodon das primäre Vehikel um zu entdecken, und entdeckt zu werden. Gut gemachte Beiträge mit sinnvollen Hashtags werden gefunden, geteilt und kommentiert, auch wenn man selbst noch nicht viel Follower hat.

3. Listen anlegen, z.Bsp. mit Freunden oder Themen

Folgt man erstmal einer gewissen Anzahl an Menschen und Hashtags, wird es schnell recht lebendig in der eigenen Timeline. Um nichts wichtiges zu verpassen, sollte man besonders wichtige Personen (z.Bsp. Privatkontakte) auf VIP-Listen setzen. So kann man dann Timelines für speziell diese Listen betrachten. Wo es zur Zeit noch mangelt: Listen können keine Hashtags enthalten (sondern nur Personen) und Notifications lassen sich nicht separat für Listen konfigurieren (sondern nur global). Diese Fehlstellen sind bereits im Issue-Tracker notiert: [1] [2].

Reddit

Reddit steht in beiden Spalten der Tabelle – sowohl geschlossen, als auch offen. Natürlich ist Reddit ein kommerzieller Anbieter und läuft somit Gefahr, ebenfalls, bad incentives auszurollen und der Enshittification zum Opfer zu fallen. Betrachtet man die Unterscheidung zwischen „geschlossener“ und „offener“ Plattform hingegen weniger nach dem Monetarisierungsmodell und mehr nach den partizipatorischen Kernfunktionen, steht Reddit auf der Skala noch relativ gut da:

  • Die Qualität von Inhalten wird nicht von einem Algorithmus oder verborgener Telemetrie (wer guckt sich was wie lange an) bewertet, sondern von aktiver Nutzerpartizipation: Upvotes und Downvotes.
  • Die Sortierung von neuen Threads und den Kommentaren innerhalb dieser Threads folgt somit einem basisdemokratischen Ansatz.
  • Nutzer können ohne bürokratischen Aufwand beliebig viele Subreddits gründen und sich ihre eigene Nische schaffen.
  • Moderation erfolgt nicht durch eine zentrale Instanz – stattdessen hat jedes Sub-Reddit ein eigenes, freiwilliges Moderatoren-Team, welches für die Aufrechterhaltung der in diesem Sub-Reddit aufgestellten Community-Regeln sorgt.

Disclaimer: es handelt sich hier teilweise um eine recht idealisierte Darstellung. Gewisse Aspekte wie die Nicht-Benutzung von verborgenen Algorithmen zur benutzerspezifischen Content-Sortierung lassen sich mangels open-source nicht zweifelsfrei validieren und können über die Zeit auch von Veränderungen betroffen sein, welche einzig und allein der Willkür von Reddit Inc. unterliegen.

Im Folgenden werde ich trotz der gerade erwähnten Unsicherheit einige der Merkmale, die Reddit einzigartig machen, näher erläutern und dabei auch auf weitere Kritikpunkte eingehen.

1. Humankapital

Das konzernunabhängige Humankapital von Moderatoren und Power Usern bildet eine wichtige Säule von Reddits Erfolg. Zwar liegt der Quellcode von Reddit nicht offen, aber die Community, mit ihren organisch gewachsenen Nischen und den unzähligen, ehrenamtlichen Moderatoren, ist von einer in den Ursprüngen des Internets verankerten Grassroots-Kultur geprägt. Diese Kultur entzieht sich der Kontrolle der Unternehmensführung – weshalb Reddit auch als Unternehmen einen möglichst transparenten und nachhaltigen Kommunikationskurs fährt, um sich von dieser Stammuserschaft nicht zu sehr zu entfremden.

2. Basisdemokratie

Die konsequent umgesetzte Upvote/Downvote-Mechanik sorgt bei Themen mit Substanz oft dafür, dass hochwertig (gut recherchierte) Kommentare nach ganz oben rutschen und besser sichtbar sind. Dies ist die Voraussetzung dafür, solche Kommentare überhaupt erst zu schreiben. Während die Kommentarbereiche großer Internet-Zeitungen zum Teil nur noch von renitenten Trollen bevölkert werden (weil aufwändig geschriebene Repliken nach 10 Minuten sowieso auf Seite 3 verschwinden, und sich somit kau ein vernünftig denkender oder in Vollzeit beschäftigter Mensch die Mühe macht, aufwändige Beiträge zu schreiben), findet man in den meisten Reddit-Communities ein recht breit gefächertes Spektrum an Nutzern und Ansichten sowie einen weitgehend konstruktiv geführten Diskurs.

Idealerweise dient ein Upvote der Anerkennung der logischen Überzeugungskraft eines Arguments oder der Qualität der vorgelegten Primärquellen (Verlinkungen etc.), und nicht der Zustimmung zu einer Meinung. Wie in der Reddit-Etikette mehrfach betont wird: Ein Upvote ist kein „Like“-Button. Personen, die zu persönlichen Beleidigungen greifen, trügerische rhetorische Kniffe anwenden oder deren Beiträge vor unangebrachtem Sarkasmus strotzen, können mit Downvotes rechnen. Ein Kommentar, der viele Downvotes erhält, wird eingeklappt und rutscht an das untere Ende der Standard-Sortierung. Man kann ihn dort noch aufklappen, lesen und darauf antworten, aber er erhält weniger Aufmerksamkeit. Man kann Kommentare unter einem Post allerdings auch nach „kontrovers“ sortieren: dadurch werden Kommentare nach oben geholt, die eher ähnlich viele Up- wie Downvotes erhalten haben und somit evtl. stilistisch fragwürdig aber inhaltlich durchaus wertvoll sind (oder umgekehrt).

3. Hohe Durchlässigkeit

Da Reddit nicht Open Source ist, ist nicht sichergestellt, dass diese Mechanismen in Zukunft weiter so konsequent fortbestehen. Andererseits hat Reddit auch keine große Hürden für massenhafte Nutzerabwanderung, da die Debatte bei Reddit in der Regel pseudonym und ohne persönliche Bindungen oder Privatbeziehungen geführt wird. In den Threads stechen User nicht durch bunte Signaturen oder irgendwelche Status-Symbole hervor – selbst die Nicknames sind den eigentlichen Inhalten hintenangestellt und erst nach genauem Hinsehen erkennbar.

Reddit hat ein Interesse daran, das partizipative Prinzip aufrechtzuerhalten, weil dieses Prinzip das einzige Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Plattformen ist. Sollte dies wegfallen, ist ein Massen-Exodus nicht ausgeschlossen. Technische Lösungen existieren bereits auf Basis von ActivityPub: Lemmy.

4. Monetarisierung ohne Enshittifikation

Reddit hat sich mit klar gekennzeichneten, nicht-disruptiven Werbe-Einblendungen und ein paar entgeltlichen, kosmetischen Zusatz-Features gewisse Monetarisierungsmöglichkeiten eröffnet, die die Plattform am Leben erhalten, ohne die Qualität maßgeblich zu senken. Die neuste Stufe der Monetarisierung ist es nun, den gesammelten Wissens- und Kommunikationsschatz für KI-Training zugänglich zu machen. Wer auf Reddit Beiträge schreibt, tut dies in aller Öffentlichkeit. Das millionenfache Einsammeln von Postings für KI-Zwecke wurde inzwischen durch API-Beschränkungen erschwert und ist nun vermutlich nur noch gegen Zahlung möglich. Dieses Geschäftsmodell mag ethisch diskutabel sein, bringt aber keinen unmittelbaren Nachteil für die Qualität und Nutzbarkeit der Plattform mit sich.

5. Kritische Masse

Da Reddit bisher den Spagat zwischen Qualität und Monetarisierung noch verhältnismäßig erfolgreich schafft, nutze ich Reddit dennoch weiterhin gern und empfehle es weiter. Die riesige Nutzerbasis von Reddit hat oftmals zur Folge, dass man wirklich zu fast jedem Thema immer einen Experten (jemand, der in der Branche arbeitet usw.) zu einem Thema findet, welcher z.Bsp. die oft oberflächliche Betrachtung einer News-Headline relativieren oder mit Primärquellen einordnen kann. Das ist ähnlich wie in großen Passagierflugzeugen, wo sich fast immer ein Arzt findet, wenn mal einer gebraucht wird…

6. Ein wenig muss man auch selbst Hand anlegen

Andererseits gibt es auf Reddit aber auch viele Bereiche, in denen der Diskurs unterkomplex ist und es die Tendenz gibt, immer nur dieselben Running Gags zu wiederholen. Insbesondere die allgemeineren Subreddits sind in der Regel keine guten Nachrichtenquellen, da Benutzer dazu neigen, vor allem solche Artikel zu posten, die eine starke Reaktion im Forum hervorrufen – die Gesetze der Ökonomie der Aufmerksamkeit machen auch vor semi-offenen und partizipatorischen Plattformen keinen Halt.

Das gilt vor allem für jene Subreddits, welchen man mit einem neuen Account von Anfang an folgt – inklusive solcher, die sich um Memes, Humor oder triviale Beobachtungen drehen. Falls dort das Niveau über die Jahre absinkt, ist das wahrscheinlich eher ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, und nicht unbedingt das Verschulden Reddits als Unternehmen oder Konzept.

Möchte man also die partizipiative Natur von Reddit ernstnehmen, dann sollte man die Abos zu vielen dieser Standard-Subreddits kündigen und sich selbst ein paar Subreddits suchen, die den eigenen Interessen oder entsprechen oder innerhalb dieser Interessen mehr Tiefgang bieten.

Statt /r/gadgets gibt es z.Bsp. /r/hardware, statt /r/news gibt es /r/geopolitics, und so weiter. Man findet diese über die Suchfunktion (Begriffe oder Themen eingeben), über Google („what subreddits are there about topic xyc“) oder über öffentliche Listen. Zwei davon verlinke ich hier:

Das sind keine Empfehlunglisten, sondern Vorlagen, um sich selbst die Rosinen aus dem Kuchen zu picken. Viel Spaß!

Offene Alternative zu Reddit: Lemmy bzw. Feddit

Auf Basis von Activity Pub, dem Protokoll auf welchem auch Mastodon aufbaut, hat sich mit Lemmy eine offene Alternative etabliert. Lemmy hat 2023 großen Auftrieb erhalten, nachdem Reddit Inc. in Reaktion auf AI-Crawling einige API-Änderungen durchführte. Diese Änderungen hatten den Nebeneffekt, dass auch der Betrieb von alternativen Zugangs-Apps erschwert wurde, was insbesondere den freiwilligen Moderatoren von Sub-Reddits miesfiel, da jene die 3rd Party Apps für Moderationszwecke benötigten (die offizielle Reddit-App ist nicht gut genug).

Wie Mastodon ist Lemmy ein föderiertes Netzwerk: man sucht sich eine Instanz aus, aber hat auch Zugriff auf alle anderen Instanzen. Ich habe selbst noch nicht viel Erfahrung mit Lemmy, aber kann mir gut vorstellen, dass Lemmy sich langfristig zu einer ernsthaften Alternative mausern wird, auch was die Nutzerzahlen angeht. Der offizielle Einstieg ist die Seite join-lemmy.org, für deutschsprachige Nutzer gibt es auch eine sehr große Instanz Feddit. Gerade von Feddit verspreche ich mir recht viel, da die deutsche Netzkultur schon immer recht stark darin war, freie Netze mitzuentwickeln und zu etablieren – siehe auch: Chaos Computer Club oder Geschichte von Linux in Deutschland.

Self-hosted für Unternehmen: Discourse

Wer überlegt, für sein Projekt oder seine Firma ein eigenes Sub-Reddit zu gründen, sollte sich vorher mal die Open Source Software Discourse anschauen. Discourse bildet einen Großteil der Reddit-Funktionen (kuratierte Threads durch Up-/Downvotes) mit ab, steht dann aber vollständig unter der Kontrolle des jeweiligen Betreibers (kleine Firmen, Privatpersonen, Vereine) und lässt sich entsprechend viel freier gestalten und ausbauen, mit eigenen Unterforen sowie mehr Unabhängigkeit vom Plattform-Anbieter. Discourse hat alle früheren Foren-Softwares wie phpBB, SMF und vBulletin nahezu vollständig abgelöst – zumindest dann, wenn man zu einem bestimmten Thema eine neue Community von Grund neu aufbauen will.

TikTok, Instagram Reels, Youtube Shorts usw.

Zu diesen Plattformen kann ich keine Alternativen aussprechen, weil mir das Konzept schon grundfalsch vorkommt. Das Konzept beinhaltet:

  • Möglichst kurze Videos, die einen schon von der ersten Sekunde an verfangen (catchen) sollen.
  • Endloses, automatisches Abspielen, Weiterleiten, zum nächsten Clip Schieben, anhand eines algorithmisch gesteuerten, auf die Psychologie des Nutzers abgestimmten roten Fadens.
  • Maximale Zeitvergeudung bei gleichzeitig maximal-effektiver Werbeausspielung (Video-Werbung funktioniert besser als Text und Bild).

Man könnte das Prinzip einer traditionellen Video-Plattform (wie Youtube) oder auch einer eher dynamisch-sozialen Plattform (Live Chats in jedem Video, Streaming und Videos auf einer Plattform) sicherlich auch ethisch sauber und quelloffen implementieren. Und kostenlose bzw. kommerzielle Alternativen zu Youtube existieren bereits, wie auf dieser Liste zu sehen:

Video-Plattformen haben aber ein grundsätzliches Problem: ihr Unterhalt ist aufgrund des speicher-, rechenleistungs- und bandbreitenintensiven Prinzips „Video“ extrem teuer. Aufgrund dieser großen Unterhaltskosten sind TikTok, Instagram und Youtube auch die größten Werbeschleudern der Menschheitsgeschichte. Deshalb bin ich mir unsicher, ob solche Plattformen sich überhaupt rein auf freiwilliger oder spendenbasierter Basis finanzieren ließen.

Eine mögliche Implementierung auf Basis von P2P-Technologie ist PeerTube. Hier wird immerhin die Bandbreitenlast (eine der drei o.g. Komponenten) unter den Nutzern geteilt, ähnlich wie bei dem Filesharing-Protokoll “Bittorrent”. Eine Verteilung der immensen Rechenlast für das Encoding von Videos in vielerlei Formate und Auflösungen ließe sich evtl. als Opt-in-Funktion etablieren: dazu müssten neue Videos zunächst im Originalformat übermittelt, dann codiert und in komprimierter Form zum Server zurückgeschickt werden. Das Encoding auf den Rechern der freiwilligen Anwender würde mit recht hohen Lüfterlautstärken einhergehen, sofern man sich dabei nicht im Schneckentempo bewegen will. Mit einer freiwilligen Verteilung der Encoding-Last würde man auch Stromkosten auf die Nutzer abwälzen. Ob sich so ein Prinzip skalieren lässt, ist schwer abzuschätzen.

Sicherlich hat Video als Medium einen wichtigen Platz – und nicht nur in semi-staatlicher Organisation wie bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Aber in der Art und Weise, wie Video inzwischen andere Medien (z.Bsp. Bücher) verdrängt und angesichts der Gefahr, ganze Generationen zu funktionalen Analphabeten zu erziehen, oder wenn man betrachtet, wie auch traditionelle Anbieter (ebendiese Öffentlich-Rechtlichen) sich den Methoden der viralen Social Video-Anbieter bedienen müssen (Clickbait), um noch relevant zu bleiben, würde ich sagen, dass die Gesellschaft insgesamt eine deutlich kritischere Haltung zum Non-Stop-Videokonsum einnehmen sollte.

Regierungen und Bildungseinrichtungen wären vielleicht gut darin beraten, großangelegte und über Jahrzehnte finanzierte Aufklärungskampagnen gegen algorithmisch gesteuerten Video-Konsum zu fahren, so wie man das auch bei Alkhol-Konsum, Glücksspielsucht, ungeschützten Geschlechtsverkehr (Stichwort AIDS) und anderen Themen der öffentlichen Gesundheit macht, sonst sitzt die halbe Menschheit bald in einer von der KI vorgegaukelten Matrix. Man stelle sich einmal ein generatives Modell wie Sora vor, kombiniert mit dem psychologischen Profiling von TikTok…

Woanders hatte ich auch neulich gelesen: wenn das so weiter geht, verkommen wir Menschen zu den bloßen Reproduktionsorganen der künstlichen Intelligenz. Plattformen wie die oben genannten Video-Anbieter leisten diesem Trend m.E. einen massiven Vorschub.

Discord

Discord ist großartig – ich nutze es selbst im Rahmen meines Arbeitgebers gern und häufig. Ähnlich wie Reddit ist Discord aufgrund seiner Verwurzelung in den Grundmechaniken des Internets (keine Algorithmen, freie Community-Bildung, chronologische Timelines) noch im günen Bereich auf der Enshittifikation-Skala. Dennoch ist es natürlich nicht toll, sich von einem einzelnen Anbieter abhängig zu machen, zumal Discord vor einiger Zeit von Microsoft gekauft wurde. Die in der Tabelle gelisteten Open Source Alternativen Matrix, Revolt, Rocket.Chat und Spacebar habe ich mir persönlich noch nicht angeschaut, weshalb ich hier noch nicht weiter kommentieren kann. Ich halte die Einstiegshürde für mittelhoch, da sich noch kein klarer Konkurrent etabliert hat, und Discord ebenfalls wie Reddit von der kritischen Masse der Nutzerzahl abhängt (mehr als Signal, wo man einfach nur mit seinen Freunden chatten will und nicht mit der ganzen Welt).

ownCloud

Zu guter Letzt, für fortgeschrittene Anwender: wer einen eigenen Web-Server betreiben kann, kann auch eine ownCloud-Instanz betreiben, anstatt alle Daten bei Google Drive, Apple Photos etc. zu hosten.

Die Funktionen und Apps stehen den kommerziellen Anbietern in nichts nach. Trotzdem muss man sich natürlich um ein Backup kümmern – also möge man sich zusätzlich zu ownCloud vielleicht mal noch rsync oder Rclone anschauen. Das ist alles keine Raketentechnik.

Wichtige Unterscheidung: Privatnutzung vs. reine Hilfswerkzeuge

Es gibt unzählige weitere Plattformanbeiter, welche weit verbreitet sind, aber nicht in der Kritik stehen, obwohl sie nicht Open Source sind. Dazu zählen Spotify, Stack Overflow, Quora, Goodreads, TripAdvisor und letztlich auch die Google-Suche inkl. Google Mail und Google Maps, inkl. derer Bewertungsfunktionen für Orte und Geschäfte.

Diese Plattformen sind nicht Teil meiner Kritik, weil:

  1. Ihr Nutzen sich auf einen spezifischen Anwendungsfall beschränkt, welcher außerhalb der privaten Alltagskommunikation liegt und schwerlich dazu geeignet ist, die Verweildauer des Nutzers zu maximieren. Mit anderen Worten: man nutzt diese Plattformen nur, wenn man sie wirklich braucht.
  2. Diese Plattformen oder Dienstleistungen bilden letztlich freie und offene Internet-Standards ab. So gibt es an Google Mail nichts auszusetzen, solange Google Mail sich an die Spielregeln des freien Protokolls „E-Mail“ hält und vollständig mit anderen Anbietern interoperabel ist.

Sicherlich gibt es zu einigen dieser Anbieter auch berechtigte Kritik (Beispiel-Artikel: Criticism of Spotify) und quelloffene Alternativen – aber aufgrund der relativ geringen systemischen Mißbrauchspotenziale dieser kommerziellen Anbieter lässt sich der Anreiz für einen Wechsel weniger gut begründen.

Was ist denn überhaupt dieses Open Source?

1. Einführung

Ich habe weiter oben bereits geschrieben:

Das Prinzip “Open-Source” bedeutet: ein jeder kann den Programmierquellcode lesen, verstehen, kompilieren und nachvollziehen, was unter der Haube passiert. Das ermöglicht unabhängige Audits und einwandfreie Transparenz, ohne versteckte Hintertüren. Quellcode-lesen mag nicht jedermanns Sache sein, aber zum Glück gibt es unzählige Vereine, Sicherheitsforscher, Universitäten und andere unabhängige Stellen, die diese Arbeit schon erledigt haben. Nur mit öffentlichen Projekten auf Open Source-Basis entsteht ein unabhängiges “network of trust”, wo individuelle Akteure ihre Arbeit aufeinander aufbauen und sich gegenseitig validieren können.

Ich möchte das an dieser Stelle noch weiter vertiefen:

Open Source Software bezeichnet Programme, deren Quellcode öffentlich zugänglich ist. Dies ermöglicht es jedem, die Software zu verwenden, zu studieren, zu ändern und zu verbreiten. Hinter Open Source steckt die Absicht, Wissen zu teilen, Zusammenarbeit zu fördern und Innovationen voranzutreiben.

2. Freiheit und Dezentralisierung

Open Source Software stärkt die Freiheit des Einzelnen durch Transparenz und Kontrolle über die verwendeten Technologien. In einem dezentralen Netz, wo keine zentrale Autorität Kontrolle ausübt, ermöglicht Open Source die Schaffung eines Systems, das von der Gemeinschaft getragen wird. Jeder kann den Code einsehen, Sicherheitslücken identifizieren und Verbesserungen vorschlagen. Dies fördert nicht nur ein hohes Maß an Datenschutz und Sicherheit, sondern auch die Widerstandsfähigkeit gegenüber Angriffen oder dem Einfluss von Einzelpersonen oder Gruppen mit eigennützigen Zielen.

3. Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit

Die langfristige Nachhaltigkeit von Software und Netzen ist oft eine Herausforderung, besonders wenn sie von kommerziellen Interessen abhängig sind. Open Source Projekte können diese Hürde überwinden, indem sie eine Community aus Nutzern und Entwicklern um sich scharen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen. Diese Projekte können zwar von gewinnorientierten Unternehmen vorangetrieben oder unterstützt werden. Jedoch können sie aufgrund der Open Source-Lizenzbedingungen nicht in deren Besitz übergehen. Diese Struktur fördert innerhalb der Projekte Entscheidungen, die auf Langfristigkeit und Nutzen für die Gemeinschaft ausgerichtet sind. Wird ein Projekte in eine Richtung entwickelt, welche diesen Prinzipien zuwiderläuft, können sich alternative Projektgruppen den Code schnappen und das Projekt “abspalten” und im Sinne des Gemeinwohls weiterentwickeln. Das Prinzip “Open Source” bietet somit sowohl Rechtssicherheit als auch die technische Möglichkeit, Projekte unabhängig fortzuentwickeln und untereinander zu kombinieren, ohne durch Lizenzgebühren, Vertragssperren oder proprietäre Datenformate behindert zu werden.

4. Finanzierungsmodelle

Die Entwicklung und der Betrieb von Open Source Software und dezentralen Netzen erfordern Ressourcen. Während die Bereitstellung des Quellcodes und die Mitarbeit von Freiwilligen oft kostenfrei sind, entstehen dennoch Kosten für Infrastruktur, Wartung und Weiterentwicklung. Hier kommen Finanzierungsmodelle ins Spiel, die auf Spenden basieren. Organisationen, Einzelpersonen und manchmal auch Unternehmen, die die Werte von Open Source unterstützen, ermöglichen mit finanziellen Beiträgen, dass diese Projekte nachhaltig fortgeführt werden können. Spendenbasierte Modelle gewährleisten, dass die Entwicklung und der Betrieb unabhängig von kommerziellen Einflüssen bleiben und sich voll und ganz auf die Bedürfnisse und Wünsche der Nutzer und der Gemeinschaft konzentrieren können.

Zusammenfassend ist Open Source Software ein unverzichtbares Element beim Aufbau von freien, dezentralen Netzen, die Datenschutz, Nachhaltigkeit sowie Unabhängigkeit in den Vordergrund stellen. Durch die Unterstützung dieser Projekte über Spendenmodelle können wir sicherstellen, dass solche Netze weiterhin gedeihen, frei von kommerziellen Einschränkungen und dem Risiko, von bad actors kompromittiert zu werden.

Nachtrag: die „Enshittifikation“ von kommerziellen Anbietern

„Enshittification“ ist eine englische Wortneuschöpfung, welche beschreibt, wie systemimmanente Anreize aus einstmals guter Software irgendwann ziemlichen Unrat entstehen lassen. Enshittification steht dabei im Gegensatz zu „Innovation“ oder „Optimisation“. Ein älteres deutsches Wort, die “Verschlimmbesserung”, trifft das Ausmaß und die absichtliche Motivation hinter der Enshittifikation m.E. nicht so gut.

Während Verschlimmbesserung oftmals aus Versehen passiert, z.Bsp. indem man ein wenig den Fokus von seinen Kernkompetenzen verliert und die Bedienung “vereinfachen” will, passiert “Enshittifikation” in geplanter Gewinnmaximierungsansicht, in welcher ehemalige Funktionen durch Monetarisierungsmöglichkeiten ersetzt werden.

Die Entwicklung solcher Plattformen unterliegt dabei oftmals dem folgenden Muster:

  • Technologische Marktlücke wird entdeckt, Konzept wird entwickelt.
  • Produkt ist gut, kostenlos und werbefrei, Nutzerzahlen wachsen.
  • Nutzerzahlen erreichen kritische Masse, Firma will Geld verdienen.
  • Kernfunktionen werden abgebaut und mit Werbung ersetzt, Nutzerdaten werden verkauft – die Enshittification beginnt.
  • Produkt mutiert zu einer App, die „alles“ können soll (um erfolgreiche Konzepte anderer Anbieter nachzumachen und Nutzerabwanderung entgegenzuwirken), aber dafür eigentlich für nichts mehr wirklich gut zu gebrauchen ist.

Zu den weniger offensichtlichen Nebeneffekten dieses Musters gehört die zunehmende Fragmentierung der digitalen Gesellschaft: gewisse Alters- und Gesellschaftsgruppen bleiben bei dem „alten“ Produkt, neue Generationen werden nicht mehr erreicht. Die übrigen Fragmente behalten weiterhin ihren Anspruch auf Monopolisierung und erziehen ihre Nutzer zu Konsumenten oder willfährigen Erfüllungsgehilfen (Nutzer stellen ihre Inhalte kostenlos rein, um ein Stück vom Aufmerksamkeitskuchen zu erhalten), anstatt zu kritischen Teilnehmern einer egalitären Gemeinschaft.

An die Leser

Ich hoffe, euch hat dieser Ritt durch die Untiefen der Netzwerkplattformen gefallen. Falls ich es an einigen Stellen ein wenig übertrieben haben sollte oder gewisse Aspekte nicht mehr ganz up to date sind, schreibt es mir bitte unten in die Kommentare. Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit!

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